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Welt-MS-Tag 2024 | Interview mit PD Dr. Juliane Klehmet, ärztliche Leiterin MS-Zentrum Jüdisches Krankenhaus Berlin

30.05.2024

Jährlich erhalten ca. 15 000 Menschen in Deutschland die Diagnose MS. Unvorstellbar für viele von uns. Was sagen Sie Patientinnen und Patienten, um ihnen Mut zu machen?

Dr. Klehmet: "Die Multiple Sklerose ist die häufigste neurologische Autoimmunerkrankung und betrifft in Deutschland etwa 280 000 Menschen. Gerade weil die MS insgesamt eine häufige neuroimmunologische Erkrankung ist, gehört sie zu den am besten erforschten Erkrankungen. So ist sie zwar weiterhin nicht heilbar, kann aber mittlerweile sehr gut behandelt werden.

Dazu tragen die Vielzahl an zur Verfügung stehenden Immuntherapeutika bei, die deutlich besser verträglich und vor allem auch wirksamer sind als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Auch das Wissen um beeinflussende Faktoren, wie gesunde Lebensführung inklusive Sport und gesunder Ernährung, aber auch Berufstätigkeit haben wesentlich zu einer besseren Prognose beigetragen.

Langzeitbeobachtungen haben daher zeigen können, dass der Anteil von MS-Betroffenen mit schleichender, dauerhafter Behinderung zurückgegangen ist. Wichtig für eine gute Prognose ist ein frühzeitiger Einsatz einer hinreichend wirksamen Immuntherapie, um einem dauerhaften, irreversiblen Schaden vorzubeugen. Letztlich ist es Ziel der Therapie, MS-Betroffene ein Leben möglichst frei von Schüben und Symptomen zu ermöglichen." 

Viele haben schon von Multiple Sklerose gehört, aber können sich wenig unter dem Krankheitsbild und -verlauf vorstellen. Können Sie es kurz zusammenfassen?

Dr. Klehmet: "Bei der MS kommt es zu einem Angriff des Immunsystems gegen den körpereigenen Bestandteil Myelin, der quasi als Isolierschicht von Nervenzellen fungiert, wie bei einem Kabel. Hierbei kommt es zu einer Leitungsunterbrechung (Demyelinisierung), die zu einem Funktionsverlust führen kann.

Je nachdem, wo diese entzündliche Demyelinisierung stattfindet, können neurologische Symptome auftreten. Beispielsweise kann es zu einer Sehstörung auf einem Auge kommen, es können Doppelbilder auftreten. Taubheit, Kribbelgefühle oder aber auch Lähmungen in unterschiedlichen Regionen des Körpers können auftreten. Auch Blasenstörungen sind ein mögliches Symptom.

Diese Symptome können sich innerhalb von wenigen Tagen entwickeln, was man als Schübe bezeichnet. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Betroffene, die keine Schübe haben, sondern eine schleichende Verschlechterung von Symptomen, oftmals Gangstörungen und Lähmungen, bemerken. Dieser Verlauf ist dann als primär progredient zu bezeichnen.  Beide Verlaufsformen unterscheiden sich im Hinblick auf die anzuwendenden Immuntherapien."

Wichtig: das Leben ist nicht vorbei, wenn man die Diagnose MS erhält! Betroffene und auch deren Angehörige können "mit Mut und Stärke leben lernen". Aber wie?

Dr. Klehmet: "An allererster Stelle steht für mich das ausführliche Gespräch mit dem behandelnden Neurologen bzw. Neurologin, die Erfahrung auf diesem Gebiet haben sollten und „up to date“ gerade in Hinblick auf aktuelle Therapieansätze sind. 

Neben der ärztlichen Informationsquelle stellt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) mit ihren vielen Infoveranstaltungen, viele davon bequem online anzuschauen, eine seriöse und fundierte Informationsquelle dar. Es gibt bei der DMSG Berlin auch eine Gruppe für Neubetroffene, die die Möglichkeit zum Austausch für diejenigen bietet, die gerade die Diagnose erhalten haben. Auch für Angehörigen gibt es dort einige Angebote.

Natürlich kann man sich auch im Internet kundig machen. Hierbei sollte man allerdings immer auch darauf achten, dass es sich um seriöse Anbieter handelt."

Welche Möglichkeiten bietet die Behandlung im MS-Zentrum des Jüdischen Krankenhauses Berlin für Sie?

Dr. Klehmet: "Wir behandeln im Jahr ca. 1200 Patientinnen und Patienten und haben daher sehr viel Erfahrung mit dieser Erkrankung. Bei uns werden alle Therapien angeboten, die im ambulanten Setting verabreicht und überwacht werden. Auch Schubtherapien können wir ambulant durchführen, nach Wunsch aber auch stationär.

Neben der Immuntherapie legen wir auch viel Wert auf die begleitende Therapie von dauerhaften Symptomen und auf Faktoren, die MS-Betroffene selbst beitragen können. Hierfür nehmen wir uns viel Zeit und versuchen, jeden Patienten in seinem Lebensumfeld individuell wahrzunehmen.

Da wir ein großes MS-Zentrum sind, führen wir viele Studien zu Therapien, aber auch begleitenden Faktoren durch. Nicht zuletzt können wir zeitnah im Hause eine MRT-Bildgebung veranlassen. Im Notfall kann jederzeit und unkompliziert eine stationäre Versorgung erfolgen." 

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Klehmet. 

PD Dr. med. Juliane Klehmet, Ärztliche Leiterin Multiple Sklerose Zentrum, Jüdisches Krankenhaus Berlin

PD Dr. med. Juliane Klehmet, Ärztliche Leiterin Multiple Sklerose Zentrum, Jüdisches Krankenhaus Berlin